Rechtswidrige Beeinträchtigung des Sondereigentums kann nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch begründen

BGH, Urteil vom 25.10.2013 – V ZR 230/12

Wird die Nutzung des Sondereigentums durch rechtswidrige Einwirkungen beeinträchtigt, die von im Sondereigentum eines anderen Wohnungseigentümers stehenden Räumen ausgehen, kann dem betroffenen Wohnungseigentümer ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch in entsprechender Anwendung von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB zustehen; das gilt auch im Verhältnis von Mietern solcher Räume.(Rn.14)

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 11. September 2012 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand
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Die Beklagte betrieb im dritten Obergeschoss eines Gebäudes ein sog. ambulantes Operationszentrum. In dem darunter liegenden Stockwerk befand sich die Arztpraxis von Dr. W. (im Folgenden Versicherungsnehmer), dessen Betriebsunterbrechungs- und Inhaltsversicherer die Klägerin ist. Das Grundstück ist nach dem Wohnungseigentumsgesetz geteilt. Sowohl der Beklagten als auch dem Versicherungsnehmer waren die von ihnen genutzten Räume jeweils mietweise überlassen worden, der Beklagten direkt von dem Teil- bzw. Wohnungseigentümer, dem Versicherungsnehmer von einem Zwischenvermieter, der die Räume seinerseits von einem Teil- bzw. Wohnungseigentümer angemietet hatte. In der Nacht vom 7. auf den 8. Juni 2007 löste sich im Sterilisationsraum der Beklagten eine Schlauchverbindung, wodurch es zu einem Wasseraustritt und zu Schäden auch in den Praxisräumen des Versicherungsnehmers kam. Letztere glich die Klägerin in Höhe von 165.889,76 € aus. Gestützt auf § 67 VVG aF verlangt sie von der Beklagten aus übergegangenem Recht den genannten Betrag nebst Zinsen, darüber hinaus vorgerichtliche Anwaltskosten.

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Das Landgericht hat der Klage dem Grunde nach stattgegeben. Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben. Mit der von dem Oberlandesgericht zugelassenen Revision möchte die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage erreichen. Die Klägerin beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.

Entscheidungsgründe

I.

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Das Berufungsgericht lässt offen, ob die Beklagte ein Verschulden an dem Schadensereignis trifft. Darauf komme es nicht an, weil das Landgericht der Klage zu Recht dem Grunde nach gemäß § 67 VVG aF i.V.m. § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB in entsprechender Anwendung stattgegeben habe. Der aus der zuletzt genannten Vorschrift folgende Ausgleichsanspruch stehe nicht nur dem Eigentümer eines Grundstücks, sondern auch dem Besitzer zu, der seinen Abwehranspruch aus tatsächlichen Gründen nicht habe geltend machen können. Schuldner des Ausgleichsanspruchs könne ebenfalls ein Besitzer sein, sofern er (wie ein Mieter oder Pächter) verantwortlich für den gefahrenträchtigen Zustand sei. Dies sei hier bei der gebotenen wertenden Betrachtung zu bejahen. Auch lägen die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB vor. Es bestehe eine strukturelle Übereinstimmung des von der Norm erfassten Sachverhalts mit Konstellationen, in denen das schadensträchtige Ereignis – wie hier – nicht vom Gemeinschaftseigentum, sondern vom Sondereigentum ausgehe und davon eine andere Sondereigentumseinheit betroffen sei. Auch im Verhältnis zwischen Sondereigentümern bestünden Eigentums- und Besitzschutzansprüche, an deren Geltendmachung der betroffene Sondereigentümer aus tatsächlichen Gründen gehindert sein könne. Der Sondereigentümer befinde sich dann in einer vergleichbaren Situation wie ein Grundstückseigentümer, der Einwirkungen von einem Nachbargrundstück nicht verhindern könne. Auch die Schutzbedürftigkeit sei nicht anders zu beurteilen als in Fällen, in denen sich Eigentümer benachbarter Grundstücke gegenüberstünden. Schließlich sei der Anspruch nicht verjährt.

II.

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Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

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1. Das folgt allerdings nicht schon daraus, dass das Berufungsgericht offen lässt, ob die Beklagte ein Verschulden an dem Wasseraustritt trifft. Zwar scheidet eine Heranziehung des subsidiären nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs entsprechend § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB aus, soweit eine andere – in sich geschlossene – Regelung besteht (Senat, Urteil vom 19. September 2008 – V ZR 28/08, BGHZ 178, 90, 98 mwN). Das ist jedoch bei den allgemeinen deliktsrechtlichen Bestimmungen der §§ 823 ff. BGB nicht der Fall (so bereits Senat, Urteil vom 15. Juli 2011 – V ZR 277/10, NJW 2011, 3294 Rn. 16 f. für eine an landesrechtliche Nachbarvorschriften anknüpfende deliktsrechtliche Haftung; vgl. auch Senat, Urteil vom 21. Mai 2010 – V ZR 10/10, BGHZ 185, 371, 374 f. Rn. 15).

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2. Auch nimmt das Berufungsgericht zu Recht an, dass der Klägerin aus übergegangenem Recht ein Anspruch entsprechend § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB dem Grunde nach zusteht.

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a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB gegeben, wenn von einem Grundstück im Rahmen seiner privatwirtschaftlichen Benutzung Einwirkungen auf ein anderes Grundstück ausgehen, die das zumutbare Maß einer entschädigungslos hinzunehmenden Beeinträchtigung überschreiten, sofern der davon betroffene Eigentümer aus besonderen Gründen gehindert war, diese Einwirkungen nach § 1004 Abs. 1 BGB rechtzeitig zu unterbinden (Senat, Urteil vom 11. Juni 1999 – V ZR 377/98, BGHZ 142, 66, 67 f. mwN; Urteil vom 21. März 2003 – V ZR 319/02, NJW 2003, 1732, 1733). Wie das Berufungsgericht zu Recht annimmt, ist dieser Anspruch über den Wortlaut des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB hinaus nicht auf die Folgen der Zuführung unwägbarer Stoffe beschränkt, sondern erfasst auch – worum es hier geht – die Störung durch sogenannte Grobimmissionen wie etwa Wasser (Senat, Urteil vom 12. Dezember 2003 – V ZR 180/03, BGHZ 157, 188, 190; Urteil vom 21. Mai 2010 – V ZR 10/10, BGHZ 185, 371, 376 Rn. 18).

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b) Ebenfalls zutreffend legt das Berufungsgericht zugrunde, dass der Anspruch in entsprechender Anwendung von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB auch dem berechtigten Besitzer zustehen kann, dessen Abwehranspruch aus § 862 Abs. 1 BGB aus tatsächlichen Gründen nicht geltend gemacht werden konnte (Senat, Urteil vom 23. Februar 2001 – V ZR 389/99, NJW 2001, 1865, 1866; BGH, Urteil vom 10. November 1977 – III ZR 157/75, BGHZ 70, 212, 220; jeweils mwN). Das ist deshalb gerechtfertigt, weil der berechtigte Besitzer seine Rechtsstellung unmittelbar oder – wie etwa in Fällen gestatteter Zwischenvermietung – mittelbar von dem Eigentümer ableitet und dadurch bei der gebotenen wertenden Betrachtung in das zwischen den Grundstückseigentümern bestehende nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis einrückt, welches insbesondere mit § 906 BGB als der Generalnorm des zivilrechtlichen Nachbarschutzes (PWW/Lemke, BGB, 8. Aufl., § 906 Rn. 1) die widerstreitenden gleichrangigen Eigentümerinteressen zum Ausgleich bringen soll (vgl. Senat, Urteil vom 21. Oktober 1983 – V ZR 166/82, BGHZ 88, 344, 346; Urteil vom 12. Dezember 2003 – V ZR 180/03, BGHZ 157, 188, 193). Schließlich kann auch der Benutzer des Grundstücks, von dem die Emissionen ausgehen, zum Ausgleich verpflichtet sein, sofern er die Nutzungsart bestimmt. Die Eigentumsverhältnisse sind insoweit weder im Bereich der unmittelbaren Anwendung von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB noch im Bereich der entsprechenden Anwendung der Vorschrift entscheidend (vgl. Senat, Urteil vom 1. April 2011 – V ZR 193/10, NJW-RR 2011, 739 Rn. 8 mwN). Dass vorliegend weder der Versicherungsnehmer der Klägerin noch der Beklagte Grundstückseigentümer sind, steht einem nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch danach ebenfalls nicht von vornherein entgegen (vgl. auch Senat, Urteil vom 12. Dezember 2003 – V ZR 180/03, aaO).

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c) Ob § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB analog anzuwenden ist, wenn Sondereigentum durch Einwirkungen beeinträchtigt wird, die von einem anderen Sondereigentum ausgehen, wird nicht einheitlich beurteilt.

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aa) Während die herrschende Meinung die Voraussetzungen für einen Analogieschluss bejaht (OLG Stuttgart, NJW 2006, 1744; LG Bochum VersR 2004, 1454; Bamberger/Roth/Fritzsche, BGB, 3. Aufl., § 906 Rn. 89; MünchKomm-BGB/Säcker, 6. Aufl., § 906 Rn. 1; NK-BGB-Ring, 3. Aufl., § 906 Rn. 283a; PWW/Lemke, aaO, § 906 Rn. 10; Timme/Dötsch, WEG, § 15 Rn. 182; Wenzel, NJW 2005, 241, 244; wohl auch LG München I, ZMR 2011, 62, 63 f.; Riecke/Schmid/Abramenko, WEG, 3. Aufl., § 14 Rn. 8; Spielbauer/Then, WEG, 2. Aufl., § 13 Rn. 16; Staudinger/Roth, BGB [2009], § 906 Rn. 70; Günther, VersR 2004, 1454; für eine entsprechende Anwendung jedenfalls dann, wenn sich die Sondereigentumseinheiten in verschiedenen Gebäuden befinden, LG Bonn, BeckRS 2007, 05000; eine Analogie in Betracht ziehend OLG München, NZM 2008, 211; Hogenschurz in Jennißen, WEG, 3. Aufl., § 14 Rn. 39; Klein in Bärmann, WEG, 12. Aufl., § 13 Rn. 140; vgl. auch Dötsch, ZMR 2006, 391, 392 f.; ders., NZM 2010, 607, 609 mwN), wenden die Vertreter der Gegenauffassung ein, mit Rücksicht auf den aus dem Gemeinschaftsverhältnis der Wohnungseigentümer resultierenden speziellen Schutz könne das Bestehen einer planwidrigen Gesetzeslücke nicht angenommen werden (Schmidt, ZMR 2005, 669, 677; Becker, ZfIR 2010, 645, 647; wohl auch Briesemeister, ZWE 2010, 325; vgl. auch BayObLG, NJW-RR 1994, 718 u. NJW-RR 2001, 156 [Ablehnung von Schadensersatzansprüchen mangels Verschuldens ohne Erörterung einer analogen Anwendung von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB]; eine Analogie jedenfalls zugunsten obligatorischer Nutzungsberechtigter von Sondereigentum ablehnend LG Konstanz, NJW-RR 2009, 1670, 1671; kritisch dazu Timme/Dötsch, WEG, § 15 Rn. 182).

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bb) Verneint hat der Senat eine analoge Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB für das Verhältnis von Mietern bei Beeinträchtigungen, die von einer Mietwohnung innerhalb desselben (ungeteilten) Grundstückseigentums auf eine andere Mietwohnung einwirken (Urteil vom 12. Dezember 2003 – V ZR 180/03, BGHZ 157, 188), für das Verhältnis von sondernutzungsberechtigten Bruchteilseigentümern (Senat, Versäumnisurteil vom 10. Februar 2012 – V ZR 137/11, WM 2013, 231, 232) sowie für das Verhältnis von Wohnungseigentümern, wenn die Nutzung des Sondereigentums durch einen Mangel am Gemeinschaftseigentum beeinträchtigt wird (Urteil vom 21. Mai 2010 – V ZR 10/10, BGHZ 185, 371, 375 ff.). Bejaht hat er jedoch die entsprechende Anwendbarkeit nachbarrechtlicher Vorschriften für Streitigkeiten über die Bepflanzung benachbarter Gartenteile, an denen Sondernutzungsrechte verschiedener Wohnungseigentümer bestanden (Urteil vom 28. September 2007 – V ZR 276/06, BGHZ 174, 20, 22 f. Rn. 9; vgl. auch Beschluss vom 4. März 2010 – V ZB 130/09, NJW-RR 2010, 807 Rn. 20 für den Fall, dass die Wohnungseigentümer nach der Teilungserklärung möglichst so zu stellen sind, wie sie bei Realteilung stünden). Ausdrücklich offen gelassen hat er, ob ein Ausgleichsanspruch unter Wohnungseigentümern besteht, wenn Sondereigentum beeinträchtigt wird durch Einwirkungen, die von einem anderen Sondereigentum ausgehen (Urteil vom 21. Mai 2010 – V ZR 10/10, BGHZ 185, 371, 378 Rn. 25).

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cc) Der Senat entscheidet die Streitfrage nunmehr im Sinne der herrschenden Auffassung.

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(1) § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB setzt in seinem unmittelbaren Anwendungsbereich voraus, dass die Störung von einem anderen Grundstück herrührt (Senat, Urteil vom 12. Dezember 2003 – V ZR 180/03, BGHZ 157, 188, 190), es sich also um einen grenzüberschreitenden „Eingriff von außen“ handelt (Senat, Versäumnisurteil vom 10. Februar 2012 – V ZR 137/11, WM 2013, 231, 232 Rn. 9 mwN; PWW/Lemke, aaO, § 906 Rn. 10). Vor diesem Hintergrund ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass die Norm nur bei struktureller Vergleichbarkeit und nicht anders zu befriedigender Schutzbedürftigkeit analogiefähig ist (Senat, Urteil vom 12. Dezember 2003 – V ZR 180/03, BGHZ 157, 188, 195; Urteil vom 21. Mai 2010 – V ZR 10/10, BGHZ 185, 371, 376 Rn. 18). Entgegen der Revision stellt das Berufungsgericht dabei zutreffend nur auf das Verhältnis der Sondereigentümer und nicht auf das der Mieter ab, weil es bei der Frage, ob ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch zu bejahen ist, um den Ausgleich gleichrangiger Eigentümerbefugnisse geht, an denen berechtigte Besitzer lediglich partizipieren (oben II.2.b).

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(2) Die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB liegen vor.

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(a) Anders als bei Beeinträchtigungen des Sondereigentums, die von dem Gemeinschaftseigentum der Wohnungseigentümer ausgehen, geht es bei von Sondereigentum herrührenden Beeinträchtigungen um eine Beeinträchtigung „von außen“; insoweit stehen sich strukturell keine gleichgerichteten Interessen gegenüber. Mit Blick auf das Sondereigentum verwirklicht sich in herausgehobenem Maße, dass es sich bei dem grundstücksgleichen Recht des Wohnungseigentums um „echtes Eigentum“ im Sinne von § 903 Satz 1 BGB (vgl. nur Senat, Beschluss vom 19. Dezember 1991 – V ZB 27/90, BGHZ 116, 392, 394; Urteil vom 1. Oktober 2004 – V ZR 210/03, NJW-RR 2005, 10 f.) handelt. Insoweit besteht kein Bruchteilseigentum mit ideellen Anteilen sämtlicher Wohnungseigentümer, sondern „Alleineigentum“ an bestimmten dinglich-gegenständlich abgegrenzten Gebäudeteilen (vgl. Senat, Beschluss vom 17. Januar 1968 – V ZB 9/67, BGHZ 49, 250, 251 f.), mit denen der Wohnungseigentümer grundsätzlich nach Belieben verfahren und jeden anderen von Einwirkungen hierauf ausschließen kann (§ 13 Abs. 1 WEG). Dies erhellt, dass das Sondereigentum – auch in der Wahrnehmung des Rechtsverkehrs – als eine Art Ersatzgrundstück fungiert (zutreffend Dötsch, ZMR 2006, 391, 392). Anders als bei Beeinträchtigungen, die von dem Gemeinschaftseigentum ausgehen, besteht daher weder formal noch teleologisch Identität zwischen dem Grundstückseigentum, von dem die Störung ausgeht, und dem beeinträchtigten Grundstückseigentum mit der Folge, dass sich dieselben Miteigentümer gleichzeitig sowohl auf Störerseite als auch auf Seiten des beeinträchtigten Eigentums befinden. Vielmehr stehen sich die Sondereigentümer ebenso mit gegensätzlichen Interessen gegenüber wie Grundstückseigentümer in den idealtypischen – unmittelbar von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB erfassten – Fällen.

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(b) Auch der Aspekt der Schutzbedürftigkeit spricht für die Annahme einer planwidrigen Regelungslücke.

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(aa) Grundlage des Anspruches nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB ist ein billiger Ausgleich der gegenläufigen Interessen bei der Nutzung benachbarter Grundstücke auf der Grundlage eines zur gegenseitigen Rücksichtnahme verpflichtenden nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses (Senat, Urteil vom 21. Mai 2010 – V ZR 10/10, BGHZ 185, 371, 376 Rn. 21). Zwischen Sondereigentümern besteht – wie nicht zuletzt die Vorschriften des § 14 Nr. 1 und § 15 Abs. 3 WEG belegen – ein gesetzliches Schuldverhältnis (vgl. auch Senat, Urteil vom 21. Mai 2010 – V ZR 10/10, BGHZ 185, 371, 377 Rn. 24 mwN). Das daraus folgende Gebot der Rücksichtnahme auf die anderen Sondereigentümer ist den Verpflichtungen, die Grundstückseigentümern aus dem Nachbarverhältnis auferlegt sind, durchaus vergleichbar. Zwar haben die Wohnungseigentümer die Möglichkeit, Gebrauchsregelungen zum Schutz vor Schäden zu vereinbaren oder nach § 15 Abs. 2 WEG Mindeststandards zu beschließen. Diese Überlegung wird aber zum einen bereits dadurch deutlich relativiert, dass der einzelne Wohnungseigentümer bei Vereinbarungen auf die Mitwirkung sämtlicher und bei einer Beschlussfassung auf die Mehrheit der Miteigentümer angewiesen ist, und zum anderen dadurch, dass sich die Frage des nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruches in aller Regel nur in Fällen stellt, in denen aus tatsächlichen Gründen – etwa in Unkenntnis einer latenten Gefahr – die Bedrohungslage gerade nicht rechtzeitig abgewendet werden konnte (Dötsch, ZMR 2006, 391, 393).

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(bb) Ob neben der in Rede stehenden entsprechenden Anwendung von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB eine Verschuldenshaftung nach § 823 BGB in Betracht kommt, ist für die Frage der Gesetzesanalogie ohne Bedeutung (s. oben II.1.; vgl. auch OLG Stuttgart, NJW 2006, 1744; Wenzel, NJW 2005, 241). Der Umstand, dass das unter Wohnungseigentümern bestehende gesetzliche Schuldverhältnis den geschädigten Sondereigentümer bei Schadensersatzansprüchen gegen einen anderen Sondereigentümer hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast besser stellt (§ 280 Abs. 1 Satz 2 BGB) als Grundstückseigentümer (§ 823 ff. BGB), zwischen denen regelmäßig keine Sonderverbindung existiert, ist nicht von einem solchen Gewicht, dass eine andere Beurteilung gerechtfertigt wäre.

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(cc) Anders wäre allerdings zu entscheiden, wenn das Wohnungseigentumsgesetz mit Blick auf das Verhältnis der Sondereigentümer eine abschließende Sonderregelung enthielte. Das ist jedoch schon deshalb nicht der Fall, weil es keinem vernünftigen Zweifel unterliegt, dass einem Wohnungseigentümer, dessen Sondereigentum von einem anderen Sondereigentümer bei Bestehen einer Notstandslage beeinträchtigt wird, der Aufopferungsanspruch aus § 904 Satz 2 BGB zusteht. Dass zumindest grundsätzlich auch auf andere nachbarrechtliche Regelungen zurückgegriffen werden kann, hat der Senat bereits für das Verhältnis sondernutzungsberechtigter Wohnungseigentümer entschieden (Urteil vom 28. September 2007 – V ZR 276/06, BGHZ 174, 20, 22 f. Rn. 9; vgl. auch Beschluss vom 4. März 2010 – V ZB 130/09, NJW-RR 2010, 807 Rn. 20); für das Verhältnis der Sondereigentümer untereinander kann nichts anderes gelten. Und anders als bei Beeinträchtigungen, die von dem Gemeinschaftseigentum ausgehen, besteht auch kein Konflikt mit der Sonderregelung des § 14 Nr. 4 Halbsatz 2 WEG. Deren Sachbereich ist nur betroffen, wenn auf das Sondereigentum im Interesse des Gemeinschaftseigentums eingewirkt wird oder Mängel von dem Gemeinschaftseigentum ausgehen, nicht aber, wenn Beeinträchtigungen von dem Sondereigentum eines anderen Miteigentümers herrühren (vgl. auch LG München I, ZMR 2011, 62, 63 f.).

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(dd) Der analogen Anwendung von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB auf das Verhältnis von Sondereigentümern untereinander steht schließlich nicht entgegen, dass der Senat mit Blick auf im Grundbuch eingetragene Sondernutzungsrechte von Bruchteilseigentümern (§ 1010 BGB) eine entsprechende Anwendung von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB verneint hat (Senat, Versäumnisurteil vom 10. Februar 2012 – V ZR 137/11, WM 2013, 231, 232). Da solche Rechte das nur – ideelle – Bruchteilseigentum ausgestalten, fehlt es im Gegensatz zum Sondereigentum und zu im Grundbuch eingetragenen Sondernutzungsrechten nach dem Wohnungseigentumsgesetz (dazu Senat, Urteil vom 28. September 2007 – V ZR 276/06, BGHZ 174, 20, 22 f. Rn. 9) an dem erforderlichen Eingriff von außen. Dabei ist die Gleichstellung von verdinglichten Sondernutzungsrechten von Wohnungseigentümern mit dem Sondereigentum deshalb gerechtfertigt, weil derartige Rechte dem Sondereigentum als Inhaltsbestimmung zugeordnet sind (vgl. Senat, Beschluss vom 24. November 1978 – V ZB 11/77, BGHZ 73, 145, 148; Beschluss vom 3. Juli 2008 – V ZR 20/07, NZM 2008, 732, 734 Rn. 36) und daher dessen rechtliche Einordnung auch in Bezug auf eine entsprechende Anwendung von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB jedenfalls dann teilen, wenn sie ein Recht zur Alleinnutzung einräumen.

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d) Ohne Rechtsfehler verneint das Berufungsgericht das Eingreifen der von der Beklagten erhobenen Verjährungseinrede. Die diesbezüglichen Erwägungen werden von der Revision nicht in Zweifel gezogen.

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3. Gleiches gilt für die unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des Verzuges dem Grunde nach zuerkannten Anwaltskosten.

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4. Die angefochtene Entscheidung kann aber deshalb keinen Bestand haben, weil das Landgericht „sämtliche Schäden“ dem Grunde nach als ersatzfähig angesehen und das Berufungsgericht diese Erwägung – wenn auch pauschal – gebilligt hat.

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a) Das ergibt sich entgegen der Auffassung der Revision jedoch nicht schon daraus, dass nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB nicht Schadensersatz, sondern lediglich ein nach den Grundsätzen der Enteignungsentschädigung zu bestimmender Ausgleich verlangt werden kann (Senat, Urteil vom 1. Februar 2008 – V ZR 47/07, NJW 2008, 992, 993 Rn. 9 ff.), wonach nur der unzumutbare Teil der Beeinträchtigung auszugleichen ist (Senat, Urteil vom 19. September 2008 – V ZR 28/08, NJW 2009, 762, 765 Rn. 32 ff.; PWW/Lemke, aaO, § 906 Rn. 43 i.V.m. Rn. 36 f. mwN). Denn selbst wenn die Vorinstanzen die Formulierung in den Entscheidungsgründen „sämtliche Schäden“ rechtstechnisch verstanden haben sollten, bliebe der Rüge im Ergebnis jedenfalls deshalb der Erfolg versagt, weil der keinen schadensersatzrechtlichen Bezug enthaltende Tenor im Lichte des nunmehr ergehenden Revisionsurteils auszulegen wäre.

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b) Das Berufungsurteil ist aber deshalb aufzuheben, weil die bisher von dem Berufungsgericht getroffenen Feststellungen den Erlass eines Grundurteils nach § 304 Abs. 1 ZPO nicht rechtfertigen. Dabei kann offen bleiben, ob in der Revisionsrüge, wonach beide Vorinstanzen verkannt hätten, dass die geltend gemachten Positionen nach entschädigungsrechtlichen Grundsätzen „zumindest teilweise“ nicht ausgleichspflichtig seien, bei verständiger Würdigung auch eine Verfahrensrüge nach § 304 ZPO zu erblicken ist. Denn es entspricht der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass die Voraussetzungen für den Erlass eines Grundurteils im Hinblick auf dessen innerprozessuale Bindungswirkung – auch im Revisionsverfahren – von Amts wegen zu prüfen sind (vgl. nur BGH, Urteil vom 16. Januar 1991 – VIII ZR 14/90, NJW-RR 1991, 599, 600 mwN).

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aa) Ein Grundurteil darf nur ergehen, wenn ein Anspruch nach Grund und Höhe streitig ist, grundsätzlich alle Fragen, die zum Grund des Anspruchs gehören, erledigt sind, und wenn nach dem Sach- und Streitstand zumindest wahrscheinlich ist, dass der Anspruch in irgendeiner Höhe besteht (BGH, Urteil vom 16. Januar 1991 – VIII ZR 14/90, aaO; vgl. auch Senat, Urteil vom 12. November 2010 – V ZR 181/09, BGHZ 188, 43, 49 Rn. 16; Versäumnisurteil vom 14. März 2008 – V ZR 13/07, NJW-RR 2008, 1397, 1398).

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bb) Diese Voraussetzungen sind hier schon deshalb nicht erfüllt, weil der Senat im Hinblick auf die Bindungswirkung des Grundurteils nicht überprüfen kann, ob tatsächlich irgendwelche Positionen dem Grunde nach ausgleichspflichtig sind. Tatsächliche Feststellungen hierzu hat das Berufungsgericht nicht getroffen. Mangels Darstellung der geltend gemachten Positionen bleibt damit auch die Frage, ob die für den Erlass eines Grundurteils erforderliche hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, in der Schwebe.

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5. Kann das Berufungsurteil nach allem mangels ausreichender Feststellungen keinen Bestand haben, ist die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§§ 562, 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Mit Blick auf den erneuten Erlass eines Grundurteils wird allerdings bei der Ermessensausübung nach § 304 Abs. 1 ZPO ggf. zu berücksichtigen sein, dass die Rechtsfrage der analogen Anwendung von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB nunmehr geklärt ist.

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